Prof. Dr. Hubert Cancik, Priv.-Doz. Dr. Jörg Rüpke
E-mail: ROMREL@mailserv.zdv.uni-tuebingen.de
* Prosopographie römischer Priesterschaften
* Soziale Realität des Kultkalenders
* Sakrale Onomastik
Nach Abschluß des dritten von der DFG geförderten Jahres soll der Stand des Projektes "Sozialgeschichte der römischen Religion" und seiner Teilprojekte erneut festgehalten und reflektiert werden. Der vorübergehende Wechsel von Herrn Dr. Rüpke, des wissenschaftliche Mitarbeiter des Projektes, auf eine Assistentenstelle am Philologischen Seminar für die Zeit vom 01.10.92 bis zum 30.09.93 (Vertretung), schränkte zwar seine Mitarbeit an der Priesterprosopographie ein, ermöglichte ihm aber die Fortführung und den Abschluß des Teilprojektes "Kalender". Unabhängig davon konnte die Materialaufnahme für die Prosopographie vorangetrieben werden, so daß wir uns ganz innerhalb des modifizierten Zeitplans; der im letzten Zwischenbericht angekündigte Publikationstermin der Priesterlisten, der Spätsommer 1995, kann nach wie vor als gesichert gelten.
Der inhaltliche Austausch, die Sachdiskussion und die Klärung organisatorischer Fragen findet auf der Ebene des Gesamtprojektes in zweiwöchentlichen, je zweistündigen Arbeitssitzungen statt.
Die aus der Sachmittelbeihilfe der DFG zum Bücherkauf zur Verfügung stehenden Gelder wurden weiterhin zur Schließung von Lücken im prosopographischen Bereich verwandt, insbesondere konnten zahlreiche Bände aus den Etudes préliminaires aux religions orientales dans l'empire romain erworben werden.
Die Anschaffung eines Scanners zur digitalisierten Aufnahme von Bildern und Texten ist weiterhin noch nicht abschließend geklärt; nach einigen Tests muß eine optimale Kombination von Scanner und Speichererweiterung zur beschleunigten Bildverarbeitung innerhalb des vorgegebenen finanziellen Rahmens noch gefunden werden.
Bei insgesamt ausreichender Geräteausstattung ist nach wie vor zu beklagen, daß auch im dritten Projektjahr die Universität Tübingen nicht in der Lage war, einen Anschluß des zweiten Gerätepaars an die Netze der Universitätsrechner zu erstellen.
2.1.1 Die umfassende Aufarbeitung der antiken offiziellen Dokumentation von Priestern hat zu einer Präzisierung der Typologie von "Priesterfasten" geführt, die nicht ohne Auswirkung auf die Verwendung dieses Begriffes bleiben kann. Während der Typ der antiken fasti eng mit der Historisierung und Verschriftlichung des Kalenders zusammengesehen werden muß (s. u.) und sich auf die Dokumentation (oft verschiedener) prestigeträchtiger Positionen konzentriert, wird das priesterliche Material vom Typ der "Sukzessionsliste" beherrscht, die das Innehaben priesterlicher Ämter als unmittelbare Nachfolge von Personen oder auf einzelnen Positionen (decuriae) interpretiert. Nach antiker Terminologie sind daher die in der Publikation vorzulegende jährlichen Dokumentationen aller Stelleninhaber nicht als fasti, sondern als alba (annua) zu bezeichnen.
2.1.2 Für die republikanische Zeit hat die Quellenkritik der Nachrichten über priesterliche Sukzessionen die Grenze für eine schriftliche priesterliche Dokumentation in die Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. gelegt. Dieser Befund hat über die Konsequenzen für die Bewertung älterer Nachrichten hinaus große Bedeutung für die annalistische Quellenkritik überhaupt.
2.1.3 Die Korrektur der prosopographischen "Artikel" (Kurzbiographien) und jährlich geordneten "Listen" für die republikanische Zeit ist abgeschlossen. Die sorgfältigen Korrekturgänge haben einerseits die bisherigen Ergebnisse, die in der Zahl der identifizierten Personen quantitativ wie in der Bestimmung von Amtsperioden qualitativ deutlich über die früheren Arbeiten hinausgehen, gesichert; andererseits wird damit ein Grad von formaler Zuverlässigkeit angestrebt, der dem Anspruch des Endproduktes, als Standard- und Nachschlagewerk zu dienen, angemessen ist.
2.1.4 Für die Priesterfasten der Kaiserzeit konnte die Materialaufnahme in fast allen Teilen abgeschlossen werden. Bis zum Herbst wird auch die Aufnahme des umfangreichen epigraphischen Materials für die Arvalbrüder und der aus chronologischen Gründen notwendige Durchgang durch das gesamte christliche Inschriftenmaterial beendet sein.
2.1.5 Die Reise von Frau Fischer Saglia nach Aquileia, die der Aufnahme von Inschriften im Bereich weiblicher Kultfunktionäre und der Erschließung von Gemmen für kultgeschichtliche Fragestellungen galt, konnte mit Erfolg abgeschlossen werden; ein entsprechender Bericht liegt vor.
An einer begrenzten, aber über das Material der Priesterprosopographie hinausgehenden Fallsammlung, lateinische Ableitungen von Apollo, hat Frau Marcchesini, Doktorandin in der Vergl. Sprachwissenschaft, die Möglichkeiten sozialgeschichtlicher Analysen mit Hilfe onomastischer Methoden exemplarisch untersucht. Das Ergebnis, das noch ausformuliert werden muß, bleibt ambivalent. Zwar ergaben sich einige interessante Hypothesen - etwa zur postmortalen Namensgebung früh verstorbener Kinder -, doch blieben die Befunde so vage und individuell, daß nur auf einer sehr breiten Datenbasis zu signifikanten Resultaten führen könnte. Im Rahmen des laufenden Forschungsprojektes wird die Bearbeitung dieses Themas damit eingestellt.
Eine bereits im letzten Zwischenbericht angekündigte Monographie zur sozial- und religionsgeschichtlichen Analyse des römischen Kalenders (als System wie als konkrete inschriftliche Exemplare) unter dem Titel "Kalender und Öffentlichkeit: Studien zu den römischen fasti" steht unmittelbar vor dem Abschluß.
Ausgehend von einer eingehenden Untersuchung aller erhaltenen Kalenderexemplare wird die Geschichte des und der römischen Kalender rekonstruiert und dabei in den Kontext der politischen, sozialen, geistesgeschichtlichen und schließlich auch religionsgeschichtlichen Entwicklung gestellt. Die historische Perspektive reicht dabei von der frühen Republik bis in die Spätantike. In einem letzten Teil wird die religiöse Nutzung von Kalendern und - in Form des feriale - ihr Einsatz zur Steuerung komplexer, von verschiedenen Priesterschaften getragener kultischer Strukturen untersucht. Damit wird über die gemeinsame Perspektive der Sozialgeschichte hinaus auch ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang mit den personen- und organisationsgeschichtlichen Forschungen zu den römischen Priestern hergestellt.
2.4.1 Das EDV-Instrumentarium konnte auf der Basis der Fortentwicklung von TUSTEP (Tübinger System von Textverarbeitungsprogrammen) ausgebaut werden. Die Programmierarbeit hat sich dabei von der Erfassung und der Erstellung von Arbeitsmaterialien auf die Vorbereitung der Publikation der Ergebnisse verlagert. Die Definition des Layouts ist mit der Erstellung entsprechender Satzprogramme weitgehend abgeschlossen. Für die automatische Generierung von Indices und Bibliographien wurden die entsprechenden Routinen deutlich verbessert. Die Anzahl der Datensätze beträgt etwa 7.000.
2.4.2 Die begleitende bibliographische Arbeit wurde fortgeführt. Die Arbeitsbibliographie zur römischen Religion und angrenzenden Gebieten umfaßt etwa 6.000 Titel. Sofern es die Zeitreserven im Endstadium des Projektes zulassen, könnte ein separates bibliographisches Arbeitsinstrument für den Bereich römische Religion konzipiert werden.
2.5.1 Die Vorstellung von Ergebnissen des Projektes auf den Metageitnia-Kongressen wurde nach den vorangegangenen in Freiburg, Mulhouse und Zürich wurde im Januar 1993 mit zwei Vorträgen in Tübingen fortgesetzt. Herr Bendlin stellte anhand des bei Ovid in den Libri fastorum beschriebenen Mater-Magna-Rituals Probleme der sozialgeschichtlichen Interpretation von Ritualen und ikonographischem Material vor, Herr Rüpke trug eine gänzlich neue historische Rekonstruktion für die Entstehung der römischen fasti vor.
2.5.2 Die EDV-Organisation des Projektes und die Perspektiven des Einsatzes dieses Arbeitsmittels sind in einem englischsprachigen Aufsatz dargestellt worden, der in RISSH 1994 erscheinen wird und die Projektskizze aus LLC 4 (1989), 289-291, fortschreiben soll:
2.5.3 Eine Positionsbestimmung verschiedener Zugänge zur römischen Religion ist einer knappen Gesamtdarstellung vorgelegt worden:
2.5.4 Die gemeinsame Rezension des Sammelbandes von Beard/North zu antiken Priesterschaften ist inzwischen erschienen:
Von den kleineren Arbeiten, die im Umfeld des Projektes die Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungspositionen suchen, sind erschienen oder liegen bereits in Druckfahnen vor:
2.5.5 Die Quellenkritik für die republikanische Überlieferung von Priesternamen erschien in:
2.5.6 Frau Egelhaaf hat eine Magisterarbeit zur Terminologie von römischen Kultanlagen unter besonderer Berücksichtigung sozialgeschichtlicher Aspekte (Priesterwohnungen u. ä.) vorgelegt.
2.5.7 Mit der Forschungsgeschichte im Bereich Priester und Priesterarchive beschäftigt sich:
Zu diesem Komplex erscheint demnächst ebenfalls:
2.5.8 Eine auf dem Hintergrund der Kalenderanalysen vorgenommene Neubewertung der Gattung von Ovids "Fasten" erscheint demnächst in:
Einzelne Feste und ihre literarische Verarbeitung behandeln:
Über Gastvorträge im Tübinger Philologischen Seminar und die Außendarstellung auf den Metageitnia, zunehmend auch durch Publikationen, konnten einige Kontakte hergestellt werden. Intensivere Form hat die Zusammenarbeit mit Prof. John Scheid, Spezialist für römische Religion an der Ecole Pratique des Hautes Etudes, Paris, der umfangreiche Arbeiten zu den Arvalbrüdern vorgelegt hat, angenommen. Über den Austausch von Materialien im prosopographischen Bereich hinaus konnte Herr Rüpke im Mai in Paris seine Thesen zum Kalender vorstellen. Frau Dr. Beard, Cambridge, Verfasserin mehrerer Arbeiten zu römischen Priesterschaften, konnte für einen Gastvortrag über "Galli: Eine Priesterschaft im Kult der Mater Magna" im Mai 1994 gewonnen werden.
Die Kontakte für eine Zusammenarbeit mit Archäologen und Sprachwissenschaftlern zum Thema "Kultgeräte" wurde fortgesetzt. Im Rahmen der Kolloquien des Zentrums für Datenverarbeitung wird der inzwischen erreichte Stand des Projektes unter besonderer Berücksichtigung der EDV-Komponente im November vorgestellt werden.
Nach der Anlaufzeit und nunmehr dreijähriger Förderung durch die DFG verschiebt sich die Arbeit im Projekt "Sozialgeschichte der römischen Religion" zunehmend von der Materialerschließung und Materialerfassung in den Bereich der Auswertung und abschließenden Aufbereitung von Ergebnissen. Trotz verschiedener Modifikationen hat sich die Ablauf- und Zeitplanung weitgehend bewährt, das durch die Vertretung zumindest teilweise gewonnene Arbeitsjahr des wissenschaftlichen Mitarbeiters stellt die konzentrierte Betreuung der Publikation bis in die letzten Phasen sicher.
Inhaltlich hat sich der Ansatz "Grundlagenforschung" bewährt. So weit sich für die Prosopographie bereits jetzt sagen läßt, wird die Erstellung von Priesterbiographien und Priesterlisten weit über die Zusammenfassung verstreuter vorhandener Bearbeitungen hinaus zahlreiche Detailfortschritte bringen. Die Teilprojekte, die mit unterschiedlichen Ansätzen das methodische Instrumentarium des sozialgeschichtlichen Zugriffs erweitern sollte, wurden im wesentlichen abgeschlossen. Die Verfolgung dieser Ansätze gelang in unterschiedlichem Maße; während für manche Bereiche (Sozialisation, Onomastik) lediglich die Fragestellungen präzisiert und der Umfang der - im Rahmen des Projektes nicht mehr zu leistenden - Arbeit festgestellt wurde, konnten für andere Fragestellungen die Fruchtbarkeit des Ansatzes direkt nachgewiesen und in konkreten Ergebnissen realisiert werden (Kultgerät, Kalender).
Erfreulich ist die reiche Resonanz der studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ausgehend von der Mitarbeit im Projekt haben sich eine ganze Reihe von Zulassungsarbeiten, Magisterarbeiten und Dissertationsprojekten entwickelt, die die inhaltliche und methodische Diskussion sehr befruchtet haben und auch dort, wo die Fragestellung deutlich anders gelagert war zu Synergieeffekten (Quellenerschließung, Bibliographie) geführt haben. Auch unter diesem Qualifizierungsaspekt muß die Fruchtbarkeit der Projektförderung im Normalverfahren der DFG und die Notwendigkeit von Einzelstipendien außerhalb von Graduiertenkollegs betont werden.
Stand: 21.04.95 - apsinfo@www.uni-tuebingen.de
Demo-Version des Projekts(http://www.uni-potsdam.de/u/klassphilol/srrind.htm)